Künstliche Intelligenz (KI) und Big Data verändern die Wirtschaft – auch in Thüringen. Das IAB Weimar unterstützt Unternehmen dabei, KI und Datenanalyse praxisnah einzusetzen und Innovationen im Bauwesen und angrenzenden Branchen voranzutreiben. Wir haben mit Sebastian Gawron über Forschung, Anwendung und Zukunftstrends gesprochen.
Welche Aufgaben und Schwerpunkte hat das IAB Weimar als wirtschaftsnahe Forschungseinrichtung – und wie sichern Sie den Praxisbezug Ihrer Arbeit für Unternehmen?
Sebastian Gawron: Das IAB Weimar mit rund 130 Mitarbeitern entwickelt praxisnahe Lösungen – von Baustoff- und Verfahrenstechnik über Bausysteme, Energie- und Gebäudetechnik bis hin zu Tief- und Rohrleitungsbau. Seit 2022 haben wurde zudem den KI-Fachbereich aufgebaut. Was uns besonders macht: Wir haben eigene Labore, Technikerteams und akkreditierte Prüfstellen. Das heißt, wir können nicht nur forschen, sondern auch direkt testen und validieren. Und seit 2024 sind wir sogar An-Institut der Bauhaus-Universität Weimar, was unsere wissenschaftliche Verankerung noch einmal deutlich stärkt.
Welche Branchen oder Unternehmensgrößen profitieren besonders von Ihrer Forschung und Ihren Projekten und welche Rolle spielen Kooperationen mit Unternehmen, Hochschulen und Forschungspartnern?
Sebastian Gawron: Unsere Arbeit richtet sich an Unternehmen aus dem Bauwesen, der Baustoffindustrie, Energie und Infrastruktur – vom KMU bis zum Großunternehmen. Kooperationen sind für uns essenziell. Viele Projekte entstehen gemeinsam mit Industriepartnern, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Über unseren Förderverein FIAB e. V. sind zahlreiche Unternehmen eingebunden, und oft kommen Firmen direkt mit konkreten Bedarfen auf uns zu. Aus einem ersten Projekt wird dann schnell eine langfristige Partnerschaft. Von der Wissenschaftsseite arbeiten wir als An-Institut eng mit der Bauhaus-Universität Weimar zusammen sowie im Netzwerk der Zuse-Gemeinschaft, aber auch mit Fraunhofer- und Leibniz-Instituten zusammen. Und wir sind ab Sommer 2026 Teil des European Digital Innovation Hub. Ein Highlight sind unsere Veranstaltungen wie die IAB-Betontage und IAB-Energie. Künftig wollen wir diesen Dialog noch stärker auf Zukunftsthemen ausrichten, etwa mit einer geplanten KI-Werkstatt im kommenden April gemeinsam mit der Bauhaus Akademie Schloss Ettersburg. Dort möchten wir konkret zeigen, wie KI im Bauwesen nutzbar wird.
Wie gelingt es Ihnen, Forschungsideen in marktfähige Lösungen zu übersetzen bzw. welche Effizienzsteigerungen, Qualitätsverbesserungen oder Kostensenkungen konnten durch Ihre Forschung in den Unternehmen erzielt werden?
Sebastian Gawron: Unser Fokus ist die anwendungsorientierte Forschung – mit dem klaren Ziel, dass am Ende auch ein Produkt entsteht, das draußen am Bau funktioniert. Grundlagenforschung oder erste Prototypen betreiben von der Bauhaus-Universität bzw. von der MFPA – wir verstehen uns als Brückenbauer, der daraus marktfähige Lösungen entwickelt. Ein gutes Beispiel ist das Thema Recycling und Ressourceneffizienz: Wir entwickeln sensorgestützte Sortierverfahren für Bauabfälle, um hochwertige Rohstoffe zurückzugewinnen. Parallel forschen wir an CO₂-reduzierten Alternativen wie aktivierten Tonen oder Leichtgranulaten aus Mauerwerksbruch. Zudem forschen wir intensiv an Betonrecycling, da die Herstellung sehr energie- und kostenintensiv ist. Und natürlich spielt KI eine wichtige Rolle – etwa bei der Früherkennung von Rissen in Bauwerken. So lassen sich Schäden früh erkennen, Materialien gezielter einsetzen und Lebenszyklen verlängern.
Welche Aufgaben und Ziele verfolgt der Fachbereich „Künstliche Intelligenz und Datenwissenschaft“ des IAB Weimars, und welche Themen stehen in Ihrem Team aktuell im Vordergrund?
Sebastian Gawron: In unserem Fachbereich konzentrieren wir uns auf drei Schwerpunkte. Das erste ist Computer Vision. Hier nutzen wir KI-gestützte Bildanalysen, um Objekte, Zustände und Muster zu erkennen – etwa zur Qualitätssicherung bei Ziegeln oder Mauerwerk. Der zweite Schwerpunkt liegt auf Datenanalyse und Prognose. Mit unserem GetStarted2gether-Partner orbit Sensorfusion arbeiten wir im Projekt „Samba“ an einer intelligenten Detektionsbox, die Geräusche auf Baustellen auswertet und so den Baufortschritt erkennt - ohne Bauaufsicht und datenschutzkonform. Drittens entwickeln wir Sprachmodelle und Wissenssysteme, d.h. organisationsspezifische KI-Lösungen, die internes Wissen nutzbar machen – also Chatbots und Assistenzsysteme, die mit den eigenen Daten trainiert sind. Wir beraten auch zu Fördermitteln und helfen, Ideen in konkrete Forschungsprojekte zu überführen.
Welche Trends oder Technologien werden in den nächsten Jahren im Bereich KI und Datenwissenschaft besonders relevant für Unternehmen sein?
Sebastian Gawron: Bei der KI-gestützten Bilderkennung geht der Trend klar zur automatisierten Objekterkennung – etwa für Qualitätskontrollen oder Sicherheitsprüfungen. Spannend ist das Thema Edge-AI, also KI, die direkt auf den Geräten läuft. Das macht Anwendungen schneller und datenschutzfreundlicher, weil keine sensiblen Daten übertragen werden müssen. Im Bereich Datenanalyse gewinnen Predictive Analytics zur Vorhersage von Wartungsintervallen, Materialprüfungen oder Energieverbräuchen, sowie Sensordatenfusion und digitale Zwillinge an Bedeutung. Und bei Sprachmodellen geht der Trend weg von generischen Lösungen hin zu unternehmensspezifischen Anwendungen, z.B. KI-gestützte Wissensplattformen und Assistenten, die auf internen Daten basieren und für automatisierte Dokumentensuche und Wissensaufbereitung oder im Kundenservice eingesetzt werden. Über allem steht das Thema Nachhaltigkeit. Denn KI verbraucht enorme Mengen an Energie. Und wir brauchen vertrauenswürdige KI mit sicheren und transparenten Datenräumen.
Wo bestehen aktuell die größten Innovationshemmnisse – und wie können Unternehmen diese überwinden?
Sebastian Gawron: Der erste Pain Point sind nicht strukturierte und nicht maschinenlesbare Daten. Dazu fehlt in vielen Unternehmen eine klare Strategie: Wo kann KI konkret unterstützen? Man muss sich die Zeit nehmen, Prozesse zu analysieren. Ein weiterer Punkt ist das Generationenthema. Gerade im Bauwesen sind viele Führungskräfte noch traditionell geprägt. Sobald die nächste Generation übernimmt, merkt man deutlich mehr Offenheit für digitale Ansätze. Schwierig ist es auch, wenn Unternehmen versuchen, das allein zu stemmen, mit kleinen Budgets und ohne KI-Fachkräfte. Mein Rat ist: Mit kleinen Pilotprojekten anfangen, Erfahrungen sammeln, dann skalieren, und gegebenenfalls Partner suchen. Das IAB berät gerne KMUs, die Bedarfe hier haben, und zu geeigneten Förderprogrammen. Und nicht zuletzt sind da Datenschutz und Regulierung. Der AI-Act ist ein Schritt ein Anfang, aber solche Vorhaben hinken oft der Marktdynamik hinterher.
Welche typischen Probleme können Sie mit KI und Datenwissenschaft am schnellsten lösen und wie läuft der Prozess von der Problemstellung bis zur funktionierenden Lösung ab?
Sebastian Gawron: Bei dem Start mit KI, geht es darum, die „Low-Hanging-Fruits“, d.h. kleine, schnell umsetzbare Projekte mit sichtbarem Mehrwert, zu identifizieren. Gerade für KMU ist das wichtig, weil hohe Anfangsinvestitionen oft abschrecken. Wir setzen bewusst auf kompakte Pilotprojekte, die man mit bestehenden KI-Modellen recht schnell aufsetzen kann und den Einstieg erleichtern. Im Bereich Computer Vision sind das z.B. automatisierte Qualitätskontrollen und Objekterkennung. Auch die Datenanalyse kann schnell helfen, z.B. bei der Anomalieerkennung und Predictive Maintenance von Sensor- und Maschinendaten. Das hilft, Störungen oder Ausfälle in der Produktion zu vermeiden. Bei Sprachmodellen starten wir dort, wo Datenschutz kein Hindernis ist, wie bei der Erstellung von Marketing-Texten oder Mitarbeiter-Briefings. Zudem helfen wir beim Aufbau von Datenstrategien und bei der Einführung von Datenmanagementsystemen.
Der Prozess folgt dabei dem Ablauf: Problemanalyse, Prototyp-Entwicklung, Praxistest und Überführung in den Regelbetrieb. Dabei ist es uns wichtig, Mitarbeitende frühzeitig einzubinden und zu schulen, damit Unternehmen langfristig unabhängig arbeiten können.
Können Sie ein Projekt im Bereich KI am IAB vorstellen, das Sie besonders begeistert oder als innovativen Meilenstein sehen?
Sebastian Gawron: Da gibt es gleich drei Projekte, die ich persönlich spannend finde, weil sie zeigen, wie vielseitig KI heute schon eingesetzt wird. Ein Projekt ist der „Smart Feeder“. Wir nutzen hier KI-Bilderkennung, um Wildschweine automatisch zu identifizieren und zu zählen. Das klingt erstmal simpel, ist aber technologisch ziemlich anspruchsvoll, weil Lichtverhältnisse, Bewegungen und Umgebungen ständig wechseln. Die KI läuft direkt auf dem Gerät, also als Edge-AI, ganz ohne Cloud und Internet. Ein zweites Highlight ist „Revincus“. Hier analysieren wir Abwasserströme akustisch. Die KI hört quasi, wie das Wasser fließt, und erkennt, wo noch nutzbare Wärme im Abwasser steckt. Und dann E-Terry, ein autonomer Feldroboter, der Unkraut von Nutzpflanzen unterscheiden und mechanisch entfernen kann. Wir unterstützen das Team bei der Weiterentwicklung des Algorithmus und in der Programmierung.
Welche Möglichkeiten der Kooperation bietet das IAB Weimar für Thüringer Unternehmen, insbesondere für KMU?
Sebastian Gawron: Für Unternehmen bieten wir verschiedene Wege der Zusammenarbeit an. Eine klassische Möglichkeit ist die direkte Auftragsforschung: Wir entwickeln und testen Verfahren, die genau auf die Anforderungen des Unternehmens zugeschnitten sind. Zudem können im Rahmen der Dienstleistungsprojekte Unternehmen unsere Labore und Versuchsanlagen nutzen – etwa für Materialprüfungen oder Prozessoptimierungen. Eine weitere Option ist die Einbindung als Unterauftragnehmer in laufende IAB-Projekte, wenn sie über spezifische Kompetenzen verfügen. Ein gutes Beispiel ist die Drohnenbefliegung: Wenn wir für ein Projekt Luftbilddaten benötigen, arbeiten wir mit spezialisierten Firmen zusammen, die die Drohnenflüge übernehmen, während wir die KI-gestützte Auswertung übernehmen.
Welche Bedeutung haben Landes- und Bundesförderungen (z. B. ZIM, BMWK, getstarted2gether) für Ihre Arbeit – und welche Tipps geben Sie Unternehmen für erfolgreiche Projektanträge?
Sebastian Gawron: Förderprojekte sind ein zentrales Standbein unserer Arbeit – sie machen rund 70 % unseres Projektvolumens aus. Wir arbeiten mit Bundesprogrammen wie ZIM oder BMBF, aber auch mit Landesförderungen über die Thüringer Aufbaubank. Besonders hervorheben möchte ich den European Digital Innovation Hub (EDIH) Thuringia: Hier können KMU mit Konsortialpartnern zusammenarbeiten und erhalten ab Juli 2026 bis zu 50 % Rabatt auf unsere Leistungen. Besondere Erfolge erzielten wir im Rahmen von „Get Started2gether“, einem Förderprogramm des Thüringer Wirtschaftsministeriums. Alle Start-ups, die wir bisher betreut haben, sind heute noch am Markt. Hier entsteht echte Wertschöpfung.
Welche Rolle spielt die Vernetzung – etwa über Cluster oder Innovativ Thüringen – für Ihre Arbeit und den Wissenstransfer? Zudem sind Sie Mitglied im Strategiebeirat im Spezialisierungsfeld „IKT, innovative und produktionsnahe Dienstleistungen“. Welche Impulse bringen Sie dort ein und was nehmen Sie für Ihre Arbeit im IAB mit?
Sebastian Gawron: Vernetzung ist für uns essenziell. Innovativ Thüringen bietet großartige Plattformen für den Austausch. Das KI-Forum am 1. Oktober war ein perfektes Beispiel. Dort konnten wir praxisnahe KI-Anwendungen aus dem IAB vorstellen und direkt mit Unternehmen, Forschenden und politischen Vertretern ins Gespräch kommen. Im Strategiebeirat bringe ich Impulse zu Themen wie digitale Zwillinge, nachhaltige KI, vertrauenswürdige Datenräume oder den Transfer von Forschung in marktfähige Lösungen ein. Für das IAB wiederum bedeutet das, dass wir sehr nah an den Themen dran sind, die in Thüringen wirklich relevant sind.
Blicken wir fünf bis zehn Jahre voraus: Wie wird KI das Bauwesen und die angewandte Forschung in Thüringen nachhaltig verändern?
Sebastian Gawron: Ich denke, KI wird das Bauwesen grundlegend verändern – Stichwort smarte Baustellen. Zudem werden Digitale Zwillinge von Bauwerken und Infrastrukturen die Planung, Zustandsüberwachung und Instandhaltung effizienter gestalten. Und beim nachhaltigen Bauen wird KI helfen, Ressourcen gezielter einzusetzen, Recycling zu optimieren und Kreisläufe zu schließen. Thüringen kann bei KI-Ausbildung und Fachkräfteentwicklung eine führende Rolle übernehmen, wenn Forschung, Wirtschaft und Hochschulen eng zusammenarbeiten. Das ist eine große Herausforderung – aber auch eine Riesenchance für den Standort.
Vielen Dank für das Gespräch!